Once upon a time …

… a long long time ago bewarb ich mich um einen Job, wofür ich weder die eine (Promotion) noch die andere angeforderte Voraussetzung (Computer Erfahrung) hatte. Ich hatte zwar von „Word“ und „Word Perfect“ mal gehört und sagte auf die Frage nach meinen Computerkompetenzen: “Natürlich Word und Word Perfect”.

Diese Antwort schien den netten Leuten im Interview zu genügen. Glücklicherweise stand kein Computer im Institutsbüro, denn ich hätte nicht einmal die Starttaste gefunden, da ich noch nie einen Computer bedient hatte.

Mein Glück – dies ist ja ein Fairytale – war, es hat sich nur eine einzige andere Kandidatin für den Job beworben, auch American native speaker. Meine Lehrprobe – wir lernten alle mehr über “Route 66” in den USA mit sehr viel Interaktion und einigen Witzen – mit ganz tollen Studis, die freiwillig in der vorlesungsfreien Zeit auftauchten. Meine unbekannte Mitbewerberin las angeblich für 20 Minuten aus einem Buch vor.

Also bekam ich eine unbefristete Stelle am Rhein und verließ mit einem weinenden und lachenden Auge die Regnitz und meine Freunde in Franken, unendlich dankbar für immer und ewig in Europa bleiben zu können, und das Land der unbegrenzten Möglichkeiten nur als Tourist zu besuchen ohne Gefahr zu laufen, dort bleiben zu müssen.

Die Studis in meinem ersten Semester waren so nett und motiviert – und ich wohnte mittlerweile in einer Dachgeschosswohnung groß genug für eine große Party – also lud ich sie alle ein, es gab Pizza vom Lieferdienst, Musik, viel Unterhaltung. Es war ein bisschen komisch, sagte der eine und die andere, mich deutsch sprechen zu hören … das Duzen aber kam den meisten leicht über die Lippen – ich hätte nicht einmal deren Vater sein können, höchstens der ältere Bruder und sah ja kaum noch älter aus. Eine sehr gute Studentin – nennen wir sie einfach Carmen H. um den Datenschutz zu gewähren – tat sich mit dem mich-Duzen schwer … das Siezen hörte sich aber auch sehr komisch an … also einigten wir uns auf die dritte Person Singular … was zur Belustigung führte: „Möchte gnädiges Mädchen noch ein Bierchen?”

Einige Monate später erzählte mir mein lieber Kollege – nennen wir ihn „Mr. Bean“, da er aus England kam, Mr. Edward Bean – “You know, today is a big day for you. Your Probezeit is over and you weren’t fired.” “Probezeit? What’s that?” fragte ich. Als er es mir erzählte, wurde mir schlecht, ich musste mich hinsetzen, ansonsten wäre ich auf die Schnauze gefallen. “Du meinst, man hätte mich ohne Grund einfach entlassen können? Aber ich habe doch eine zwar billige Wohnung gekauft, bin aber hoch verschuldet.” “Tja, Jody”, sagte Mr. Edward, “hast Du wieder Glück gehabt.”

Trotz hoher Verschuldung leistete ich mir zweimal im Jahr weiterhin Studi-Feten, auch um mich bei den wunderbaren Studis zu bedanken. Sie waren sehr nett, nur etwas mehr als eine Dekade jünger und machten ja alles, was ich verlangte – sie kamen mehrfach für meetings freiweillig zu mir ins Büro, forschten über all things American and British, schmissen den Unterricht selbst und ließen mich immer wieder sprachlos zurück.

Was für das erste Semester galt, galt ja auch fürs nächste und übernächste und überübernächste…

Einmal war eine Studi dabei, die nur mit Rollstuhl unterwegs war … es gab um die 70 Stufen in Koblenz vom Eingang bis ins Dachgeschoss. Für meine Studis aber gar kein Problem, es gab einige starke Jungs, die trugen die junge Frau mit Rollstuhl bis nach oben und dann viele Stunden später wieder runter.

Es naht langsam das neue Millennium und auch ein Umzug – um den Abschied von Koblenz zu feiern veranstaltete ein talentierter Studi (nennen wir ihn „Christoph“ anonym aber bitte mit „ph“ nicht „f“) eine Village-People-Strip-Einlage mit drei anderen Jungs (aber nur oben ohne). Die Wohnung bebte, die Girls (waren noch 80% junge Frauen, die aufs Lehramt studierten) – und ich auch – waren hellauf begeistert.

Mit dem neuen Millennium und dem neuen Zuhause in Köln merkte ich, dass obwohl ich ja eindeutig älter wurde, wurden die Studis überhaupt nicht älter, die Namen wechselten, auch aus der X-Generation wurden langsam immer mehr Millennials aber sie blieben alle gleich jung. Kurios … dachte ich.

Meine Zwischenwohnung im Hochhaus war erstens nur auf der 17. Etage und zweitens zu klein für eine Party, also fiel einmal die Party aus. Zu der penthouse-warming party (auf den 39. und 40. Etagen) wurden dann viele Studis aus mehreren Semestern eingeladen und auch Kolleg:innen, manche davon hatten schon bzw. würden danach höhere Stellen bekommen:  Leiter:in, Dekan:in, Vizepräsident:in. Eingeladen wurden auch alte und neue Nachbarn aus dem Hochhaus, Freunde und Bekannte aus der Szene meiner neuen liebgewonnenen Großstadt sowie aus Koblenz.

Für die Einladung hatte ich bereits im Sommer 2001 eine html-Seite kreiert (meine Computerkenntnisse hatten sich im Laufe der Jahre etwas verbessert) mit Hochhaus und Flieger. Im Herbst musste ich dies ändern, Hochhaus und Flieger passten auf einmal nicht mehr zusammen. Die ganz unheimliche Ruhe in der ganzen Stadt am 12. September werde ich nie vergessen.

Und wie soll ich eine solche große Fete veranstalten? Nur Pizzen zu bestellen wäre ein bisschen wenig. Und ich wollte auch keine Party mit “RSVP bitte bis … an- bzw. abmelden”, also konnte ich überhaupt nicht planen, da ich nicht wusste, wie viele Gäste kommen würden. Nicht nur die Studis durften natürlich immer ohne Voranmeldung andere mitschleppen, sondern alle Gäste.

Der beste Freund aus Koblenz, nennen wir ihn um seine Daten zu schützen „Otto“ (stets mit Anführungszeichen), wusste von den Studi-Feten, war aber nie eingeladen, da er ja kein Studi war. Er warnte: wenn Du nichts vorbereitest und bittest die Gäste selbst Essen und Trinken mitzubringen statt der üblichen Gastgeschenke, dann werden wir nur Kartoffelsalat zu essen haben. Jahre später behauptete er, er hätte gesagt Nudelsalat, nicht Kartoffelsalat. Es war ein Risiko aber ich bin nun mal Spieler und dachte – why not?

Nudelsalat?

Die Einweihung am Tag der herbstlichen Zeitumstellung bescherte uns noch eine zusätzliche Stunde Zeit, die Party war wirklich toll, die ganz unterschiedlichen Leute kamen ungezwungen ins Gespräch, zum Essen war eine Auswahl von iranisch bis französisch, köstliche deutsche Frikadellen durften auch nicht fehlen – alle kamen also auf ihre Kosten.

zu Karneval Pyjamas

In den “normalen” Semester-Ende-Partys, die dann in der großen Wohnung folgten, gab es immer wieder schöne Ereignisse: auf der einen Party, die zur Karnevalszeit stattfand, kam ein Känguru und spielte Prüferin. Ich musste den Prüfling spielen, was den vielen ehemaligen Prüflingen auf der Party sehr gut gefiel. Gottseidank bestand ich die Prüfung in der Wohnung genauso wie viele vor mir auf dem Campus.

Es stellte sich im Laufe der Zeit heraus, dass manche nach einem Kennenlernen auf manchen Partys sich später liierten. In angenehmster Erinnerung ist mir ein Paar, nennen wir sie datenschutzkonform Holger und Doro.

Auf einer anderen Party tauchten auf einmal ein Dutzend sehr attraktiver junger Männer auf, die ich gar nicht kannte, sie waren zwar sehr höflich und lobten die Wohnung und bedankten sich für die Einladung … aber schienen mir ansonsten sehr fremd. Ich bekam leichte Panik und beendete abrupt die Party und schmiss ziemlich barsch fast alle raus – nur einige mir wohl bekannte Studis blieben noch um mich zu beruhigen. Am nächsten Tag bekam ich dann eine nette reuevolle Email von einer Studentin, die sich mehrfach entschuldigte. Sie hatte halt Freunde von der Kölner Sporthochschule mit eingeladen, vergaß aber mich zuvor zu informieren. Wenn ich das nur gewusst hätte…

Mittlerweile war ich nicht mehr allein, nach so viel Glück im Leben wurde Roberto mein größtes Glück, wurde sofort von allen eingeladenen Studis ins Herzen geschlossen und sorgt seitdem als sunny boy für Heiterkeit und Unterhaltung. Zusammen hätte ich ja keine Angst, egal wer kommt.

Im neuen Millennium gab es dann „Verzögerungen und Reibungsverluste im Betriebsablauf“, es gab Scharmützel, und ich als Rebell rebellierte und ging vor Gericht gegen eine Institution. Ergebnis: Vergleich, wobei die Freunde (natürlich darunter Anwälte) sich wunderten: Du hast ja alles bekommen, was Du wolltest – das soll ein Vergleich sein?

Die Erfahrung hat mir so viel Spaß gemacht, dass wir (Roberto war ab dann ja immer dabei) anfingen, richtig zu klagen: Banken, Hotels, Möbelläden, Handwerker, Eigentümergemeinschaften. Wir waren sogar in Karlsruhe (nein – nicht dort ganz oben beim BVerfG, aber immerhin um die Ecke). Die Statistiken zeigen: Wer klagt am meisten und oft mit mucho gusto? Claro: Amis und deutsche Beamte. Und wenn diese zwei Gruppen sich in einer Person vereinigen: dann oh my Gott.

Später gab es dann große Änderungen in den Abschlüssen, aus Staatsexamen wurden Bachelor und Master, Proseminar und Hauptseminar wurden Module, auf der einen Seite waren Institutsmitglieder, die kaum Erfahrung mit den neuen Abschlüssen hatten, auf der anderen Seite die wild gewordenen natives, die darauf bestanden, ihren Platz am Tisch zu behalten und für die Dinge zu kämpfen, die uns sehr wichtig waren. Es gab wieder Klagen, Disziplinarverfahren und Mediation und sogar eine leere Drohung von der Verwaltung, man könnte das Institut einfach auflösen.

Aber seit Jahren gibt es keine Post diesbezüglich mehr – weder vom Anwalt noch vom Gericht. Wir sind einfach zu zufrieden mit dem Leben und können selbst nicht einmal „klagen“.

Die Partys gingen ruhig weiter … die Namen der Studis änderten sich leicht, es kamen dazu immer mehr exotischere, aber deren Alter blieb konstant im Gegensatz zu mir – was mich langsam dann immer mehr irritierte.

Das ganze hat den Party-Ablauf nicht stören können, es war Sommer und wieder Zeit für eine Party, die letzten hatten sich die Studis mit Bekannten und Freu(n)den – mittlerweile auch mit Robertos Studis der Finanzen – aus nah und fern geteilt und schienen gegenseitig die Abwechslung zu schätzen. Anlass der Sommerpartys waren die Kölner Lichter, die am späten Nachmittag in Porz anfingen bis zum Höhepunkt vor Mitternacht am Kölner Dom. Den gesamten Ablauf konnte man von unserem Schlafzimmer aus sehen, das dann im Laufe des Abends immer voller wurde, auf dem Balkon waren bis zu vier Reihen belegt, Platz war dann nur noch auf dem großen Bett, Begleitmusik sehr laut gestellt, Pullis gelegentlich verteilt – es konnte Mitte Juli in der Nacht auch mal empfindlich kalt werden.

Und in all den Jahren halten sich die meisten Gäste an unsere Bitte „bitte bitte keine Anmeldungen, keine Abmeldungen“ oder verhalten sich wie „Otto“, der einmal offiziell und illegal absagte, aber dann doch erschien, was uns sehr gut gefiel.

Auf einer solchen Party mit einer tollen Mischung aus alten und älteren Freunden und Nachbarn, auch der Vorvoreigentümer der Wohnung war dabei, kamen auch Freunde aus meiner fränkischen Vergangenheit, einen davon nennen wir datenschutzkonform „Barney“ (seine Eltern waren wohl Fans der Flintstones), er sagte zu mir auf einem unserer Balkone: „Du musst ja rein und Deine Studis begrüßen“. „Warum?“ sagte ich verärgert. „Die werden alle nicht älter, nur ich, und auch Du, Barney“, sagte ich boshaft. „Und die können mir gar nicht erklären, wie die es schaffen, jung zu bleiben, sondern glotzen mich nur blöd an, wenn ich sie frage.“

Trotzdem gingen die Partys weiter, auf der einen wurde es für Roberto und mich zu voll. Er ging ins Mitternachtskino und ich machte einen kleinen Spaziergang ins Grüne – wir wohnen ja an dem Inneren Grüngürtel. Es waren immer noch viele, aber nicht mehr zu viele, als ich zurückkam, nach Robertos Film waren es dann nur noch einige wenige um 3 Uhr. Keine Schäden, kein Klauen? Natürlich nicht, unsere Gäste sind die Besten der Welt! Ein Korkenzieher war mal aufs Umlaufgeschoss heruntergefallen, einmal ging ein Weinglas zu Bruch, und mehrfach waren Kussmünder auf den Spiegeln (auch von Robertos Studis) – unsere Wohnung ist voll verspiegelt, dadurch bringen wir den atemberaubenden Blick in die Wohnung, manche Gäste sind aber anfangs im Spiegelhaus leicht verwirrt.

Auf der letzten Party hätte niemand von uns geahnt, dass wir wohl die letzten Kölner Lichter erleben würden und dass ein halbes Jahr später die Welt zum Stillstand kommen würde. Ein großes Kontingent an afrikanischen Jungs und Mädels hatte ein Bekannter mitgebracht, leider konnten sie alle nur französisch, also war die Integration etwas schwieriger aber das Feuerwerk haben alle genossen.

goldener Kollege in goldenem Licht

Leider gibt es 2024 keine Kölner Lichter und so konnte ich mich nicht auf der Einladung zur Party bei der Stadt Köln für ein solches Ereignis zu Ehren meiner Pensionierung bedanken. Auf der anderen Seite ist es wohl besser für die Umwelt. Der Fernblick zum Dom, zum Rhein, zum Siebengebirge, auch Richtung Benelux, ist noch geblieben.

Ob wir am Party-Samstag endlich Nudel- bzw. Kartoffelsalat zu essen bekommen? Who knows? Zum ersten Mal haben wir uns entschieden, auch keine Uhrzeit zu nennen, damit wir nicht nur raten können: “Wer wird diesmal erste(r) sein?” sondern auch “Wann wird er / sie auftauchen?”

Ganz zum Schluss eine Beichte: In der Einladung war eine kleine Lüge. Roberto hat noch nie Barbras „Good Night“ (von den Beatles geschrieben) laut aufgedreht . Er versucht normalerweise durch Putzen und Aufräumen Gäste zu ermuntern doch nach Hause zu gehen. Aber es ist ja so sooooo gemütlich bei uns, wir verstehen, wenn die Gäste einfach nicht nach Hause wollen, wir würden auch gerne hier bleiben und tun es ja auch wie im Märchen „happily ever after“.

Und was ist mit dem Rätsel: die Studis altern nicht, die bleiben immer jung? Im höheren Alter habe ich endlich gelernt: Es ist ja wunderbar, wenn die Studis jung bleiben, lassen wir ihnen diesen Vorteil, bleiben wir selbst young at heart – für immer und ewig!

PS mit besonderem Dank an einen ehemaligen sehr guten Studenten und späteren Kollegen für seine gründliche Korrektur der deutschen Sprache – ein Beweis dafür, dass „Andy Sr.“ nicht nur ausgezeichnet englisch schreibt und spricht